Interview mit Lena Ströbele, Nordmetall-Verhandlungsführerin.
Frau Ströbele, Sie führen derzeit zum dritten Mal Tarifverhandlungen. Ist es schwieriger als die beiden Male zuvor?
Ja eindeutig. Es ist die schwierigste der drei Runden, obwohl es nicht die komplizierteste ist. Eigentlich geht es ja nur ums Geld. Aber es sind tatsächlich die schwierigsten Verhandlungen, weil wir eine nie da gewesene Krise zu managen haben haben – Energiepreisexplosion, Lieferkettenprobleme, Fachkräftekrise, alles gleichzeitig. Zugleich ist es emotional auf allen Seiten schwierig, weil der Druck sehr hoch ist. Ich verstehe, dass unsere Beschäftigten große Sorgen wegen der hohen Inflation haben, aber das gilt für die Unternehmen genauso. In einer solchen Phase einen ausgewogenen Abschluss hinzubekommen, der allen gerecht wird, das ist das Schwierige.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es schon am Donnerstag eine Einigung gibt?
Das ist für mich keine Frage des Könnens, sondern des Wollens. Rein technisch ist das kein Problem. Die Frage ist, ob beide Seiten bereits so weit sind, am Verhandlungstisch eine Lösung auszuhandeln, die hinterher die Zustimmung der jeweiligen Gremien findet. Ob das bei der Gewerkschaft so ist, kann ich schwer einschätzen. Was jedenfalls nicht hilft, sind die Warnstreiks, die schon durchgeführt wurden, und 24-Stunden-Streiks, die bereits jetzt für die Zeit nach der vierten Verhandlungsrunde angekündigt werden. Das spricht aus meiner Sicht nicht dafür, dass es bei der IG Metall einen ausgeprägten Willen zu einer schnellen Einigung gibt. Wir jedenfalls setzen erst einmal auf die vierte Verhandlungsrunde, weil wir zügig zu einer Lösung kommen müssen.
Wenn es schnell gehen soll – warum haben die Arbeitgeber dann erst in der dritten Gesprächsrunde ein Angebot gemacht und nicht schon früher?
Wir haben von vornherein gesagt, dass die Inflationsausgleichsprämie ein Bestandteil der Tarifrunde sein muss. Diese Prämie ist aber vom Gesetzgeber erst Ende Oktober beschlossen worden. Erst nachdem die Details klar waren, konnten wir ein qualifiziertes Angebot machen und die Prämie in voller Höhe von 3000 Euro anbieten.
Was ist aus Ihrer Sicht derzeit der größte Knackpunkt in den aktuellen Verhandlungen?
Die Laufzeit des Vertrags. Die IG Metall muss sich da bewegen. Beschäftigte und Unternehmen leben in einer Zeit der maximalen Verunsicherung. Wir brauchen also Planungssicherheit für alle Beteiligten. Daher ist eine Laufzeit von 30 Monaten, wie wir sie vorgeschlagen haben, notwendig. Zudem braucht es eine schnelle Entlastung der Beschäftigten von den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten. Für diese Zeit hilft am besten eine Einmalzahlung wie die Inflationsausgleichsprämie, nicht eine Erhöhung der Tabellengehälter. 2023 wird ein Rezessionsjahr, da haben wir eigentlich gar keine Möglichkeit, etwas zu tun. Idealerweise sollte der Tarifvertrag bis in das Jahr 2025 hinein laufen, wenn die Wirtschaft hoffentlich beginnt, sich wieder zu erholen.
Eine prozentuale Lohnsteigerung kann es also frühestens in zwei Jahren geben?
Da haben wir uns terminlich noch nicht festgelegt. In den Verhandlungen muss eine kluge Kombination aus Vertragslaufzeit, Einmalzahlung und Tabellenerhöhung gefunden werden. Klar ist aber, dass die wirtschaftliche Lage der Unternehmen eine prozentuale Anhebung überhaupt nicht erlaubt. Dass eine Einmalzahlung am Anfang den Beschäftigten am meisten hilft, ist logisch. Acht Prozent mehr Lohn in einem Rezessionsjahr wären eine Überforderung unserer Industrie, das ist nicht machbar. Das würde viele unserer 250 Unternehmen in eine ernsthafte wirtschaftliche Notlage bringen und dazu führen, dass Firmen aus dem Flächentarifvertrag aussteigen, weil der Abschluss sie finanziell überfordert.
Verdienen die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie schon jetzt zu viel?
Das Durchschnittseinkommen in der Branche liegt mit gut 60.000 Euro pro Jahr sicherlich am oberen Rand. Vor allem Beschäftigte in den unteren Entgeltgruppen werden von den hohen Preissteigerungen aber zweifellos hart getroffen. Auch deshalb ist eine Einmalzahlung in einheitlicher Höhe für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders sinnvoll. Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen profitieren von ihr vergleichsweise stärker.
Wie läuft das in den Verhandlungen, ist die Stimmung am Tisch schnell vergiftet?
Wenn es um besonders wichtige Themen geht, kann es schon passieren, dass der eine oder andere mal etwas emotionaler und lauter wird. Aber im Grundsatz gibt es einen respektvollen und konstruktiven Umgang miteinander. Und wenn jemand mal etwas abdriftet, bekommt man das schnell wieder eingefangen. Im Grundsatz sind sich beide Seiten einig: Verhandelt wird hart in der Sache und fair zum Menschen. Das bringt ja nichts und führt in der Sache nicht weiter, wenn man sich respektlos behandelt.
In den Unternehmen macht die Gewerkschaft mit Warnstreiks erheblichen Druck. Es ist von 24-Stunden-Streiks die Rede …
Die Warnstreiks verschwenden Zeit, Energie und Geld. Und sie verändern bei unseren Verhandlungen gar nichts, weil sich die Ausgangslage dadurch nicht verändert. Es ist doch ein Riesenunterschied, ob in einer Phase verhandelt wird, in der die Unternehmen gut Geld verdienen, oder in einer Phase, in der viele Unternehmen sich wie derzeit in einer existenziellen Notlage befinden. Ich finde die Eskalation mit täglichen neuen Warnstreiks zu einem Zeitpunkt, an dem wir nach unserem Angebot noch gar nicht wieder gemeinsam an einem Tisch gesessen haben, unangemessen. Die Lösung werden wir nicht im Streik finden, die Lösung finden wir nur in den Verhandlungen.
Welche Strategie vermuten Sie dahinter?
Es drängt sich der Eindruck auf, dass es der Gewerkschaft derzeit bei den Warnstreiks nicht um Findung einer Lösung geht, sondern darum, die eigenen Leute zu mobilisieren und Mitglieder zu werben. Das ist das falsche Signal.
Dieses Interview ist im Hamburger Abendblatt erschienen.